Freitag, 28. Juni 2013

Der Rabe Abraxas und die Schamanin

Auszug aus dem Sci-fi-Epos Love:

< Menschen brauchen andere Menschen. Das ist der wahre Grund, warum ich ein Geschichtenerzähler bin. Ich bin immer neugierig auf Dinge, in die ich meine Nase eigentlich nicht reinstecken sollte, aber ich tue es. Deshalb habe ich eine Menge gesehen und vieles mitgemacht.
Wenn ich durch ein Wort oder durch die ein oder andere kleine Geschichte glaube, jemanden helfen zu können, dann werfe ich sie wie eine Bombe. Und wenn es jemals geschehen sollte, dass niemand mehr redet, niemand mehr kommuniziert und keiner mehr Geschichten erzählt, dann würde niemand mehr etwas lernen. Das wäre das Ende des Wissens.
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Donnerstagnachmittag wollte ich eine kurze Runde an der frischen Luft mit der Kamera drehen und verweilte recht lange an einer Wiese. Geduldig wartete ich am Strassenrand bis Käfer und Schmetterlinge hübsche Fotomotive hergaben.
Als ich endlich weiter ging sah ich in einer Wiese eine Krähe sitzen und erkannte schnell, dass sie nicht fliegen konnte. So nah an der Strasse und auf diesem recht ungeschützen Terrain war sie sicherlich ein leichtes Fressen für Katzen oder sonstige Raubtiere und ich dachte bei mir, dass ich sie, wenn sie auf meinem Rückweg immer noch dort sässe und sie sich hochnehmen liesse, mit nach Hause nähme. Ca. 2 Stunden später sass sie tatsächlich noch da. An Zufälle glaubte ich schon lange nicht mehr und versuchte sie hochzunehmen. Da der Himmel sich gerade bedrohlich verdunkelte und das Grollen ein herannahendes Gewitter ankündigte befürchtete ich, dass der Vogel die Nacht hier draussen nicht überstehen würde. Bei dem letzten Gewitter, mit dem ich das Vergnügen hatte, hatte nach einem heftigen Hagelschauer ein Blitz bedrohlich nah in einem angrenzenden Feld, am Rande unserer Ortschaft eingeschlagen. Es gab ein immens lauten Knall. Severino wurde von genau diesem Knall hochgeschreckt, der Fernseher ging aus und er fuhr los, um mich zu suchen.
So war ich mir sicher das Richtige zu tun und packte die Krähe vorsichtig in die Kräutertasche. Zuhause angekommen legte ich den Vogel in einen Karton, damit er sich erst einmal ausruhen konnte. Dann rief ich Severino, der auf dem Weg zum Einkaufen war, an und bat ihn darum, einen Vogelkäfig und Futter für einen Jungvogel mitzubringen.
Das tat er und rührend kümmerte er sich abends mit um den Vogel. Von unserem Nachbarn und über einen neuen Freund, der sich mit Vogelaufzucht auskennt wurden mir die Empfehlungen zugetragen, einen Tierarzt zu konsultieren, damit dieser das Tier nach möglichen Brüchen etc. untersuchen konnte.

Am nächsten Tag gingen wir gemeinsam mit dem Tier zum Tierarzt. Dieser untersuchte den Vogel kurz, meinte kurz angebunden, dass alles in Ordnung sei, ein wenig Hunger hätte er und steckte ihm einige Mehlwürmer in den Schnabel. Dabei erklärte er, man solle Jungvögel liegen lassen, die Eltern wären in der Nähe. Jetzt sei es jedoch zu spät, ihn zurückzubringen. Da stand ich mit einem äusserst schlechten Gewissen. Jetzt hatte ich in meiner Hilfsbereitschaft eine junge Krähe zu einem Waisenkind gemacht und eine Familie zerstört. Ich war mir so sicher gewesen, dass der Vogel die Nacht nicht überlebt hätte. Wie ich mich schämte. Dann verwies uns der Tierarzt an eine Vogelaufzuchtstation. Enttäuscht fragte ich, ob ich nicht selbst den Vogel aufziehen dürfe und er antwortete darauf, dass das nicht ginge, er hätte seine Auflagen.
Traurig starrte ich vor mich auf den Boden und versuchte mich damit anzufreunden, dass es der Vogel dort besser haben würde. Der Tierarzt wollte für die Untersuchung kein Geld. Zuhause angekommen versuchten wir abwechselnd die Tierstation zu erreichen. Severino kam abends durch. Nach dem Telefonat gab er mir die erhaltenen Informationen weiter. Diese Vogelstation dürfe keine Krähen annehmen, denn die Tiere wären zum Abschuss freigegeben. Selbst dürfe man Wildtiere nur mit einer Genehmigung aufziehen, es sei jedoch fraglich für eine Krähe eine Genehmigung zu bekommen und ohne mache man sich strafbar. Im Grunde hätte der Tierarzt den Vogel vorort einschläfern müssen. Wir sollten das Tier am nächsten Tag zum Fundort zurück bringen, es bestünde die Chance, dass die Eltern ihn wieder aufnähmen.
Da sass mir nun dieser putzige kleine Kerl gegenüber und ich verstand die Welt nicht mehr.

Voller Unmut tippte ich das Gehörte in Facebook ein, damit nicht andere meinen Fehler wiederholen würden. Darauf bekam ich prompt Hinweise darauf, dass ich sicherlich alles richtig gemacht hätte und fachmännische Beratungen, wie man so einen Jungvogel aufzieht. Winfried Dung, ein immens herzlicher Mensch, der selbst schon Jungvögel grossgezogen hat und den ich kürzlich kennenlernen durfte schrieb, ich dürfe jederzeit anrufen. (www.facebook.com/winfried.dung)
Eine freundliche Beraterin schrieb, ich könne, wenn ich Lust hätte, Kriterien über einen Raben als Krafttier nachlesen, sie sei Schamanin. (Klara Engelhardt / www.schamanenladen.de)
Es war schon spät und ich müde, doch neugierig geworden tippte ich schnell die Suchwörter ein, überflog einen Text und die Begriffe <Hellsichtigkeit> <Heilung> und <Vertrauen> stachen mir sofort ins Auge. Ich schrieb ihr, dass das mit dem Vertrauen so eine Sache bei mir wäre. Immer wieder holten mich alte Ängste ein und gerade die letzten Wochen wünschte ich mir verstärkt, mehr Vertrauen haben zu können. An Zufälle glaube ich nicht mehr, doch 100%iges Vertrauen in das Leben habe ich auch nicht und das kostet immense Kraft.

Die Nacht verbrachte ich im Wohnzimmer auf der Couch, denn ich wollte den Kleinen nicht wie die Nacht zuvor in den Vogelkäfig sperren. Er durfte auf seinem selbstgewählten Platz unter der Fensterbank schlafen. Am nächsten Morgen wachten wir beide gleichzeitig auf. Müde putzte ich seine Extremente weg und als ich mit seinem Frühstück kam, trottete er verschlafen unter der Fensterbank hervor. Ich traute meinen Augen nicht, er kam auf mich zu und hüpfte auf mein Bein. Das Herz ging mir auf. Den Abend davor hatten wir beide die Fütterung geübt, es war für uns beide neu und endete damit, dass ich ein lautes <Kraa> von mir gab, das er wiederholte und in dem Moment steckte ich ihm die Pinzette mit dem Futter in den Schnabel. Wir waren im Laufe nur eines Tages Freunde geworden. Zu gerne wollte ich ihn selbst aufziehen. Laut Tierarzt benötigte es sowieso nur 1-2 Wochen, bis er fliegen konnte, doch ich wollte nicht aus reinem Egoismus handeln und sagte zu ihm: <Weisst du was, wir gehen heute morgen an die Stelle, wo ich dich gefunden habe und dann sehen wir weiter. Wenn ich das Gefühl habe, dass das gut für dich ist, lasse ich dich dort, falls nicht, gehen wir wieder gemeinsam nach Hause>. Während ich duschte, sass Abraxas artig abwechselnd auf dem Waschbecken und dem Handtuchhalter. Dann packte ich eine Picknicktasche für uns zwei und sagte Severino Bescheid. Er fragte, wie ich den Vogel transportieren wolle und ich antwortete ihm, dass er den ganzen Morgen schon sehr zahm gewesen sei und ich ihn auf den Arm nehmen könne. Ungläubig kam er hinzu. Keck sass Abraxas auf meiner Schulter und so zogen wir los. Vor Freude laut krächzend sass er abwechselnd auf meiner Schulter und meinem Arm.
Als ich zu der Wiese kam, auf der ich ihn aufgesammelt hatte ging ein immenses Spektakel los. Abraxas schrie und eine Vielzahl von Krähen stoben in den Himmel und machten lautes Geschrei. Erst legte ich ihn dort ab, wo ich ihn aufgelesen hatte und ging ein Stück weiter. Etliche Gassigänger mit ihren Hunden waren in der Nähe. So nahm ich ihn wieder auf und kletterte ein ganzes Stück durch eine tiefe Wiese auf einem gegenüberliegenden Hang. Dort legte ich ihn in den Schattenwurf eines Bäumchens und ging etliche Meter weiter. Die Krähen verteilten sich schnell und bald nahm augenscheinlich keine mehr Notiz von ihm. Eine ganze Weile sass ich da. Ich weiss nicht warum, doch schon die ganze Zeit über war ich überaus traurig. Ständig schossen mir Tränen in die Augen und ich dachte, mensch Vogel, was löst du nur für Gefühle in mir aus. Es war doch alles gar nicht schlimm, er hatte seine Freude, war draussen und ich hatte mich schon still entschieden, ihn wieder mit nach Hause zu nehmen und in spätestens 2 Wochen konnte er selbst herumfliegen. Warum war ich nur so traurig. Dann hielt ich es nicht mehr aus und ging in die Richtung, in der ich ihn abgesetzt hatte. Das Gras war so hoch, dass ich ihn nicht sah und so rief nach ihm. Er antwortete sofort und auf seinen Ruf hin entdeckte ich ihn. Irgendwie wirkte er auch traurig auf mich, weinend nahm ich ihn hoch und brachte ihn zu meinem Picknickplatz. Dort legte ich ihn in den Schatten vom Gras und ich fragte mich warum ich nur in dieser merkwürdigen Stimmung war und konnte mir das nicht erklären. In einem fort liefen mir Tränen übers Gesicht. Abraxas flatterte mit den Flügeln. Sicherlich wollte er zu seiner Familie fliegen, die keinerlei Notiz von ihm zu nehmen schien. Dann legte er sich erschöpft hin. So sass ich weinend und nachdenklich da. Alles war still. Dann wollte ich los, und tippte Abraxas an. Ich erstarrte und stand regelrecht unter Schock. Stocksteif lag er da. Direkt neben mir hatte er einen kurzen Todeskampf gehabt und ich hatte das überhaupt nicht realisiert. Dazu hatte es keinerlei Veranlassung gegeben. Das gab es doch gar nicht. Aussergewöhnlicherweise hatte ich an diesem Morgen das Handy dabei und weinend und ungläubig rief ich Severino an und weinte und weinte. Es war alles gut gewesen, er hatte morgens sein Futter bekommen und war fit. Ich hatte keinerlei Erklärung dafür. Hatte ich etwas übersehen? Hatte ihn irgendetwas gebissen oder gestochen, hatte er etwas verschluckt? Ich fühlte mich immens schuldig und konnte mich nicht mehr beruhigen. Severino versuchte mich zu trösten. Er sagte: <Schau, wir können nicht Gott spielen, wenn für ein Wesen die Zeit gekommen ist, kann niemand daran etwas ändern. Vielleicht hat der Tierarzt etwas übersehen. Tiere merken das, vielleicht haben ihn seine Eltern bewusst aus dem Nest gestossen und so ist er immerhin im Freien gestorben und nicht in einem Käfig. Vielleicht sollte es so sein, dass ihr euch kennenlernt und jetzt ist er immer bei dir. Nimm dir eine Feder von ihm als Erinnerung mit und verabschiede dich so lange von ihm, bis es für dich stimmt.> Ich sass über eine Stunde lang heulend neben ihm. So geweint habe ich das letzte Mal bei dem Tod meiner Grossmutter. Innerhalb nur einen Tages war der kleine putzige Kerl so zutraulich geworden. Da sass ich, weinte um ihn, weinte um mich und um das Elend der ganzen Welt.
Statt einer rupfte ich ihm drei Federn aus. Es tat mir in der Seele leid, doch die innere Stimmere flüsterte, dass er das ja nicht mehr spüre. Dann überlegte ich, ob ich ihn mitnehmen und irgendwo vergraben solle, doch Abraxas war kein Maulwurf. Er wollte fliegen und so blickte ich nach oben. Der Blick fiel auf das Bäumchen, in dessen Schatten er gesessen hatte. Dort legte ich ihn sanft in eine Astgabelung und heulte dabei Rotz und Wasser. 
Immerhin war formell jetzt alles geregelt. Keiner konnte mich mehr für die Straftat belangen, dass ich einen kleinen liebgewonnenen Freund aufzog.

Dann ging ich nach Hause. Severino tröstet mich, bevor er zum Dienst musste. Er sagte, dass Abraxas das zwar nicht brauche, doch ich könne eine Kerze für ihn anzünden. Die drei Federn stellte ich in einem kleinen Halter dazu. Etwas später setzte mich hin, um diese für mich so traurige Geschichte aufzuschreiben. Severino fragte, ob ich wisse, dass Raben sehr spirituelle Wesen seien und er fände, dass ich da eine sehr schöne Geschichte erlebt hätte. Abraxas gehe es jetzt gut, er könne jetzt fliegen und mir noch mehr als lebendig zur Seite stehen. Diese Sichtweise war ja schön und gut, doch ich wollte keinen Geist, ich vermisste den Kleinen.
Als ich kurze Zeit danach alleine war und zu schreiben beginnen wollte, verabschiedete sich mein Kreislauf. Mir wurde immens schwindlig und schlecht. Das wenige Frühstück vom morgen bahnte seinen Weg nach draussen und mir war so schwindlig, dass ich nur noch schlafen wollte und  taumelte ins Bett. Mir wurde heiss, Schweiss brach aus und ich dämmerte den Rest des Tages vor mich hin. Ich stellte mir Abraxas vor, wie er vor Freude laut krächzend durch eine Gegend flog, die in farbigen Pastelltönen schimmerte.
Über Schamanismus habe ich bisher noch nichts gelesen. Das war mir bisher zu abstrakt. Ausgerechnet eine Schamanin hatte mir fundierte Tipps gegeben, wie man einen Jungvogel aufzieht. So fragte ich Severino abends, ob er Unterlagen dazu hätte.
Kurz darauf sass ich über einem Bericht über Schamanismus aus einer GEO-Ausgabe und weiteren Unterlagen. Auch im Internet las ich darüber nach.
Severino fragte, ob ich schon gelesen hätte, dass Kraftiere erst real bei einem leben, bevor sie hilfreich aus einer anderen Dimension fungieren.

Es war zugegebenermassen speziell, was es da über einen Rabenvogel als Krafttier zu lesen gab. Ein Satz prägte sich mir ein. <Wenn ein Rabenvogel in ihr Leben getreten ist stellen Sie sich darauf ein, dass sie zukünftig mit magischen Erlebnissen konfrontiert werden>.

Am nächsten Tag säuberte ich traurig den Vogelkäfig. Den Blumentopf mit der Erde, in den sich Abraxas so wohlig gekuschelt hatte, liess ich gedankenlos stehen.
Abends rief mich Severino an und fragte, ob mir der leuchtend grosse Vollmond schon aufgefallen sei.
Ein paar Tage später fiel mein Blick zufällig auf den Blumentopf und ich war gerührt. Anfangs, als wir noch nicht wussten, dass Jungvögel keine Körner fressen, haben wir ihm einige Körner in den Käfig gestreut. Jetzt keimten dort Sonnenblumen.



In der Phantasie hörte ich Abraxas krächzen. Ich stellte die Federn hinzu und als ich Severino dazu rief legte er nach einem Moment Stille noch einen Rosenquarz mit in die Schale.

Die Schamanin schrieb, sie wolle die Tage eine Reise zu dem Kleinen machen und fragte, ob ich wissen wolle, warum er zu mir gekommen sei. Auf diese Auskunft warte ich noch gespannt.

Des Weiteren bin ich natürlich äusserst gespannt, was für <magische> Geschichten mir <zufällig> als Nächstes begegnen werden.
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Eine grosse Lektion habe ich bekommen, nämlich Jungtiere liegenlassen.
Da hatte ich es gut gemeint und in meiner Hilfsbereitschaft diese süsse Krähe auf dem Gewissen.

The Raven in HD by The Alan Parsons Project

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